Stehen Sie auf den Schlauch?
Keine grammatikalische Entgleisung aus der Dativ-Akkusativ-Ecke - wer nicht auf dem Schlauch steht, steht auf den Schlauch. Das Schlauchlining ist ein jahrzehntelang etabliertes Renovierungsverfahren in der Kanalsanierung.
Die Kanalsanierung mittels Schlauchliner ist ein modernes - wenn auch nicht mehr neues - Verfahren zur Sanierung von Abwasserkanälen ohne aufwändige Erdarbeiten. Das Schlauchlining ist von den Sanierungsrubriken Reparatur, Renovierung oder Sanierung durch Neubau der Renovierung zuzuordnen.
Bereits vor vielen Jahrzehnten wurden die ersten Schlauchliner eingebaut. Bis heute erfüllen sie ihren Zweck und es wird nicht zuletzt aufgrund der technischen Weiterentwicklung an die mittels Schlauchliner sanierten Kanäle der gleiche Anspruch hinsichtlich ihrer Nutzungsdauer gestellt, wie an neu errichtete Kanäle.
Das Schlauchliningverfahren kommt immer dann zum Einsatz, wenn der ursprüngliche Querschnitt (nahezu beliebig) noch vorhanden ist, der Kanal aber eine Vielzahl von Substanzschäden, Undichtheiten o.ä. aufweist und punktuelle Reparaturen technisch-wirtschaftlich nicht mehr zielführend sind.
Voraussetzung für die Realisierung dieses Verfahrens ist neben dem intakten ursprünglichen Querschnitt die Zugangsmöglichkeit über einen Kanalschacht mit ausreichenden Abmessungen. Normalerweise findet man mit einem Standardschacht (Einstiegsöffnung DN600 und Schachtdurchmesser 1000mm) das Auslangen. Um dem Einsatz des Verfahrens auch einen realistischen Erfolg in Aussicht stellen zu können ist es also unerlässlich, Kenntnis über die Substanz (bzw. des Substanzverzehrs) des Altrohres zu haben. Nicht nur das: Bei allen Sanierungsverfahren ist es unerlässlich, die Sanierungsstrecke als System "Schacht-Kanal-Schacht" zu betrachten, um den Leistungsumfang beschreiben zu können.
Der Schlauchliner ist ein harzgetränktes Trägermaterial - nach dem zwischen Nadelfilz- und GFK-Linern unterschieden wird - und kann vorgefertigt auf die Baustelle geliefert werden oder vor Ort getränkt werden. Abhängig von Rahmenbedingungen und Anwendungsfall wird man sich für Nadelfilz oder GF als Trägermaterial entscheiden.
Je nach Wahl des Liners erfolgt die Aushärtung des Schlauchs mit Wasserdampf (NF) oder UV-Licht (GF). Das Titelbild zeigt den Blick in einen durchfahrenen Schacht zu dem Zeitpunkt, als sich die Lichterkette im Bereich des Schachtes befindet. Hier sieht man auch die aufgeschnittene äußere Folie, die eine gleichmäßige und vor allem vollständige Durchhärtung des Liners sicherstellen soll. Anders als beim GFK-Liner wird beim Einsatz eines Nadelfilzliners eine Verbindung mit dem Altrohr hergestellt.
Ein großer Vorteil nach Einbau eines Schlauchliners in den Kanal ist das Wegfallen der häufigsten Schwachstelle hinsichtlich Undichtheiten: Die Rohrverbindungen.
Bei speziellen Anforderungen an die chemische Beständigkeit gegen aggressivere Abwässer (andere als "normale" kommunale Abwässer) kommen spezielle Harze bzw. Harzmischungen zum Einsatz.
Der Kostenvergleich zur herkömmlichen, offenen Bauweise ist nicht ganz einfach, weil bei einem Aufschließungsgrad von über 90% der klassische Kanal "in die grüne Wiese" kaum mehr vorkommt. Meistens baut man im Bestand, meistens befinden sich mehrere unterirdische Infrastrukturen im Nahbereich des zu sanierenden Kanalabschnittes und meistens ist nicht von allen die exakte Lage/Tiefe bekannt. Das Einsparungspotential kann man wahrscheinlich mit einer Bandbreite von 30% bis zu 90% beziffern. Abhängig von umgebenden Infrastrukturen inkl. Straße, Verlegetiefe des Kanals, Länge der Sanierungsstrecke etc.
Nach Abschluss der Sanierung mittels Schlauchliner kommen die gleichen Prüfmaßnahmen zum Einsatz wie bei neu errichteten Kanälen: TV-Kamerabefahrung und Dichtheitsprüfung. Kann die Dichtheitsprüfung mit Luft nicht oder nur durch unverhältnismäßig hohen Aufwand durchgeführt werden (etwa weil viele Zuläufe entlang der Sanierungsstrecke in den Hauptkanal entwässern) kann man auch durch Laborprüfung einer Rückstellprobe des Liners und dem Attest "optisch dicht" auf Grundlage der TV-Kamerabefahrung ein Auslangen finden.
Die Anwendungsgrenzen können aus unterschiedlichen Gründen entstehen. Jedenfalls setzt den Einsatz dieses Sanierungsverfahrens die ausreichende hydraulische Leistungsfähigkeit des Sanierungsabschnitts voraus, da durch den Schlauch der Querschnitt reduziert wird. Je nach äußerer Last (vor allem Grundwasserstand) und Durchmesser variiert die Wanddicke, muss aber jedenfalls 4mm betragen.
Hinweis: Die Sanierung von Kanälen älter 40 Jahre ist in gleichem Maße förderfähig wie der Leitungsneubau. Durch den Anspruch an die Renovierungsstrecke, dass die Nutzungsdauer der eines neu errichteten Kanals entspricht, wird dieser auch wie ein neu errichteter Kanal abgeschrieben. Um die Wirtschaftlichkeit bzw. die Entscheidung, welche Sanierungsstrategie (Reparatur, Renovierung oder Sanierung durch Neubau) die beste ist, gibt es die KVR Leitlinien (Leitlinien zur Durchführung dynamischer Kostenvergleichsrechnungen) der DWA, die derzeit mit dem DWA-M 817 (Merkblatt zur Projektbewertung betrieblicher Ersatz- und Erneuerungsinvestitionen auf Basis der dynamischen Kostenvergleichsrechnung – eine Arbeitshilfe für die Praxis) zusammengeführt wird. Darin enthalten ist eine Tabelle, die die "technischen Nutzungsdauern" unterschiedlicher Sanierungsverfahren auflistet. TATSÄCHLICH handelt es sich dabei NICHT um die NUTZUNGSDAUERN DER SANIERUNGSMASSNAHME - die da in Jahren angegebenen Nutzungsdauern sind rein finanzmathematischer Natur. Abweichungen von diesen Nutzungsdauern sollten im Normalfall zwar nur nach oben passieren, ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese keinesfalls mit den technischen Nutzungsdauern verwechselt werden dürfen.
Einen Überblick über alle grabenlosen Verfahren - inklusive Neuerrichtung - bietet die 2024 überarbeitete Verfahrensübersicht der österreichischen Vereinigung für grabenlosen Leitungsbau "ÖGL": VERFAHRENSÜBERSICHT
Alle Verfahren sind auch einzeln beschrieben inkl. Anwendungsbereichen und Anwendungsgrenzen, klicken Sie dafür auf das gewünschte Verfahren unterhalb der Verfahrensübersicht .pdf: VERFAHRENSBESCHREIBUNGEN