Bedarfsorientierte Kanalinspektion? Ja, eh...

Hitzfelder Stefan
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December 6, 2023
Die Informationsbroschüre zur bedarfsorientierten Kanalinspektion ist mit der Idee, seine Inspektionsintervalle zu halbieren und sich dadurch Geld zu sparen, insbesondere für kleinere Netze mit großer Vorsicht zu genießen!
Instandhaltungsmanagement

Bedarfsorientierte Kanalinspektion? Ja, eh...

Die Informationsbroschüre zur bedarfsorientierten Kanalinspektion ist mit der Idee, seine Inspektionsintervalle zu halbieren und sich dadurch Geld zu sparen, insbesondere für kleinere Netze mit großer Vorsicht zu genießen!

Von

Hitzfelder Stefan

am

6.12.2023

Im Oktober 2023 wurden die Netzbetreiber mit einer vorweihnachtlichen Informationsbroschüre beglückt, die eine Ausdehnung der per Wasserrechtsbescheid vorgeschriebenen Inspektionsintervalle als attraktive Alternative, insbesondere als (Zitat:) sinnvolle Weiterentwicklung der Kanalinspektion bewirbt.

Die Freiheit nehme ich mir gerne für einige Richtigstellungen, die aus meiner Erfahrung aus dem Tagesgeschäft jedenfalls notwendig sind, weil doch einige Gemeinden das falsch aufgefasst haben:

Wie sinnvoll und wo die Weiterentwicklung der Kanalinspektion sein soll, wenn man ein seit Jahrzehnten ausgestorbenes Verfahren unter diesem Titel verkauft, darf man sich an dieser Stelle durchaus fragen. 3D-Scan in 4K-Qualität mit KI unterstützter Ansprache diverser Zustände und dann wieder Spiegeln unter der Überschrift sinnvolle Weiterentwicklung der "Inspektion"? Geht sich irgendwie von der Terminologie bei mir nicht aus.

Selbstverständlich hat dieses Verfahren für große Netzbetreiber (insbesondere mit Kanälen großer Dimensionen auf gerader Strecke) seine Berechtigung, um beispielsweise Reinigungsintervalle zu optimieren, die Betriebssicherheit zu kontrollieren in Kombination mit den regelmäßigen Wartungstätigkeiten in den Schächten - da ist aber immer die Rede von Wartung, Instandhaltungsmanagement und allem was dazugehört. Nie von Inspektion!

Die Kollegen aus unserem nordwestlichen Nachbarland bieten über die DWA seit über 30 Jahren Kurse zur Kanalinspektion an - und haben bereits zum 25jährigen Jubiläum 2017 in ihrer Festschrift deponiert, dass diese Technik eine Inspektion mit einer Kanalkamera nicht ersetzen KANN.

Da liegt auch der Hund begraben: Die Information inkl. Broschüre wurde von den Gemeinden als "Angebot" verstanden, die Inspektionsintervalle durch das Argument der bedarfsorientieren Inspektion von 10 auf 20 Jahre ausweiten zu können. So ist das angekommen - wie auch immer die Infos vom Sender aus gemeint waren, sie erreichten jedenfalls die Empfänger nicht ganz richtig. Aber was so schön klingt, dass es fast nicht wahr sein kann... ist meistens auch nicht wahr. WEIL:

  • Die Rede ist in dieser Informationsbroschüre immer von Objekten in den Zustandsklassen 1-3. Das sind per Definition Objekte mit keinem bis mittelfristigem Handlungsbedarf. Was mittelfristig im Kanalbereich ist? Also bei einer Nutzungsdauer von etwa 80 Jahren würde ich mittelfristig passend für die etablierten 10-Jahres-Intervalle ansehen. Das sind aber NUR diejenigen in Zustandsklasse 3. 2 und 1 sind in hervorragendem Zustand. Nachbereitung der ISYBAU Vorklassifizierung vorausgesetzt.
  • So ein Kanalnetz ist erfahrungsgemäß inhomogen, auch was die Verteilung der Zustandsklassen betrifft. Die Anwendung dieser Informationsbroschüre provoziert ein Flickwerk an (nicht) zu "inspizierenden" Schächten, das organisatorisch bestimmt nicht als Erleichterung oder gar Weiterentwicklung angesehen werden kann
  • Im Bescheidauflagepunkt „Eigenüberwachung“ steht traditionell: … Zu den in diesem Bescheid festgelegten Terminen und danach wiederkehrend im Abstand von 10 Jahren ist jeweils ein Bericht, erstellt von einem unabhängigen Fachkundigen, unaufgefordert und schriftlich dem Amt der OÖ. Landesregierung vorzulegen … In der Informationsbroschüre auf Seite 6 aber unter der Überschrift Nachbearbeitung der bedarfsorientierten Kanalinspektion: … Im Rahmen der nachfolgenden Qualitätskontrolle (z.B. vom ausgebildeten Kanalwart in dessen Büro - ein externes fachkundiges Ingenieurbüro ist dazu nicht notwendig) ist für jede Haltung, jeden Schacht und jedes Sonderbauwerk zu prüfen, ob während der Inspektion vor Ort Zustände übersehen wurden
  • Wenn der Netzbetreiber die Nachbereitung macht? Wie fachkundig und vor allem unabhängig kann der sein? Oder steht die Broschüre über dem Bescheid? Natürlich sind hier die personell chronisch unterbesetzten Betreiber kleiner Infrastrukturen gemeint, bevor sich wieder aus der Ecke einiger Halblustiger ein Shitstorm entwickelt weil ich behaupten würde, dass die Netzbetreiber nicht fachkundig sind - das ist hier genauso wenig gemeint wie in der Vergangenheit. Aber wie immer darf gerne das aus dem Zusammenhang gerissen und so falsch verbreitet werden, wie das jeder gerne möchte. Hat ja schon einmal super funktioniert.
  • Das zu erwartende Ergebnis der Spiegelung in kleineren Dimensionen ist auf Seite 7 bildlich dargestellt: Elektronischer Spiegel liefert von einem Kanalabschnitt 6 Bilder auf 2 A4-Seiten mit der Erkenntnis: „Zusätzlicher Inspektionsbedarf + Reinigungsbedarf“ Bravo: Also Reiniger her, TV-Kanalkamera her. Die Frage sei erlaubt: Wozu der ganze Aufwand im Vorfeld??? Vielleicht ist das Beispiel auch ein bissi unglücklich gewählt.
  • Ablaufdiagramm Abb. 3 macht deutlich, wie groß das Einsparungs- und Vereinfachungspotential der ganzen Idee ist: Nachdem man ZUMINDEST 2-malig detailliert mittels TV-Kamera inspiziert hat ist es ziemlich egal, wo man in dem Diagramm abbiegt: Es läuft auf die detaillierte Inspektion hinaus. Wo genau man bei den Varianten 5 – 10 – 20 oder 7,5 – 15 – Jahre wie in Abb. 1 und 2 dargestellt landet? Ganz erschlossen hat sich mir das noch nicht. Eigentlich egal, weil:
  • Voraussetzung für die Umsetzung sind
     
  1. fertiges LIS
  2. 2x bereits TV-Kamerabefahrung
  3. Filtern der Kanäle in Zustandsklassen 1 – 2 bzw. 3 und natürlich auch nach der Farbe der Rohrinnenwände, Durchmesser, ...
  4. Geschultes Personal (= Kanalwart mit Zusatzausbildung ÖWAV-Ausbildungskurs für Kanalspiegelanwendung)
  5. Elektronischer Kanalspiegel + 2 Personen für Bedienung

  • Und dann? Wer macht die Einteilung, welche Kanäle in welchem Rhythmus behandelt werden? Wo wird das dokumentiert? Wer pflegt die Daten in das bestehende LIS ein? Wer berichtet der Behörde? Doch nicht etwa ein Datenjongleur? Weil ja bekanntlich ein fachkundiges Ingenieurbüro dazu nicht notwendig ist…
  • bei der Antragstellung vorzulegen sind dann (Seite 9f) – auszugsweise:

  1. Angabe des zeitlichen Inspektionsintervalls, in dessen Rahmen die bedarfsorientierte Kanalinspektion zukünftig durchgeführt werden soll (Variante 5-10-20-Jahresintervall oder Variante 7,5-15-Jahresintervall);  dazu Angabe des Datums der Frist für die nächste(n) Begutachtung(en) mittels Kanalspiegel sowie für die nächstfolgende Inspektion mittels Kanalkamera für die einzelnen Zonen.  
  2. tabellarischer Auszug aus dem vollständig vorhandenen LIS mit bereits durchgeführter Haltungsselektion und zumindest folgenden Informationen … Vorschlag der Inspektionsform für das Zeitintervall zwischen den obligaten Kanalkamerabefahrungen sowie Angabe des nächsten Inspektionszeitpunkts für jede Haltung, jeden Schacht und jedes Sonderbauwerk … WEIL MAN AM ENDE DES TAGES JA UNBEDINGT IN DAS BESTEHENDE PROGRAMM EINGREIFEN MÖCHTE und natürlich
  3. diese Unterlagen mit einem formalen Antrag auf Abänderung des Zonenplanbescheids bei der zuständigen Wasserrechtsbehörde einreichen will.

  • Seite 11 relativiert alles vorher Beschriebene und ergibt sich der deutschen Sprache in ihrer ganzen Schönheit. Kaum ein Konjunktiv wird ausgelassen, alles könnte zielführend sein – könnte aber auch überschätzt werden. Und natürlich ist die Anwendbarkeit begrenzt. Diese aber ohne Konjunktiv. Stellt aber grundsätzlich eine sinnvolle Weiterentwicklung dar...
  • Mutig finde ich auch, dass die Europanormen 13508-2 und 752 angeführt sind. Dort wären nämlich die Begrifflichkeiten recht klar beschrieben, wann es sich um Wartung und wann um Inspektion handelt. Zumal zwingend mit der EN13508-2 das DWA-M 149-2 anzuwenden ist in dem es z.B. auf Seite 13 unter der Überschrift „Verfahren“ heißt: Der Einsatz der Kanalspiegelung, auch des elektronischen Kanalspiegels, ist auf betriebliche Fragestellungen bzw. Voruntersuchungen beschränkt. Davon abgesehen ist mit dem elektronischen Kanalspiegel eine Zustandserfassung gemäß DIN EN 13508-2 nicht zulässig. Siehe dazu BFR-Abwasser, Kap. A-2.3.1 (Link unten)

Und da findet man sich auch im Aktionsradius des Spielgels wie zu Beginn schon erwähnt wieder: JA! Es sollen alle Netzbetreiber alle Möglichkeiten zur Optimierung innerhalb ihres Instandhaltungsmanagements nutzen. Für den Spiegel heißt das aber: Große Netze oder zumindest große Strukturen/Einheiten (Wartungsverbände o.ä.), Optimierung von z.B. Reinigungsintervallen, spontane Feststellung von Gründen für Betriebsprobleme etc. - aber bitte dazusagen, dass das für kleine Netze kompletter Unsinn ist überhaupt darüber nachzudenken. Personell mindestens so schwierig in der Umsetzung wie in der wirtschaftlichen Betrachtung.

Meine Empfehlung: Klopfen wir uns auf die Schulter, dass wir den 10-Jahres-Reinigungs- und Inspektionsturnus nach tw. 50 Jahren und mehr etablieren konnten und alleine dadurch die Nutzungsdauer dieser unterirdischen Kanalinfrastruktur wesentlich verlängern können. Jetzt? In den in die Jahr(zehnt)e gekommenen Kanäle die Inspektionsintervalle zu strecken? Keine gute Idee. Von mir aus in den ersten 20-30 Jahren. Aber wer geht denn ab 60 weniger oft zur Vorsorgeuntersuchung? "Weil der Doktor hat eh mit dem Staberl beim Mund und mit der Lampe beim Ohr reingeschaut..."